Leitgedanken

Auf dieser Seite findest du eine Sammlung an Texten, die meine Sichtweise auf die Themen Bewegung, Naturverbindung, natürliche Gesundheit und generell das Leben in der Moderne beschreiben.

Des Weiteren findest du auch vertiefende Informationen zu meinem Werdegang und meiner Tätigkeit als Trainer, Therapeut und Bewegungsfreund. („Mein Weg“).

Viel Freude beim Reflektieren, Lernen und Entdecken.

Die Texte:

  1. Was ist Bewegungskompetenz?
  2. Mein Weg
  3. Was wir mit unserer Zeit machen…
  4. Ein Jahr Wildnispädagogik – Was habe ich gelernt?
  5. Menschliche Maschinen und ihre Funktion
  6. Über Lebenskünste & Abenteurer

Was ist Bewegungskompetenz?

Wenn mich jemand in einem Fahrstuhl fragen würde: „Und, was machen Sie so beruflich?“. Dann würde ich so etwas sagen wie: Ich unterstütze Menschen dabei ihre natürliche Bewegungskompetenz wiederzuentdecken und weiterzuentwickeln. Marketing-Gurus nennen so etwas „Elevator Pitch“.

Mein Elevator Pitch ist aus Marketing-Sicht natürlich nicht sehr clever. Warum? Der Begriff Bewegungskompetenz ist einfach viel zu kompliziert. Was ich damit meine und warum ich Bewegungskompetenz als Schlüssel zu einem guten Leben sehe, werde ich in diesem Text erläutern.

„Leben ist Bewegung und ohne Bewegung findet Leben nicht statt.“ – Moshe Feldenkrais.

Werden wir zu Beginn mal etwas philosophisch. Wie der gute Herr Feldenkrais bereits treffend feststellte, ist Bewegung ein elementares, wenn nicht sogar das wichtigste, Merkmal unseres Lebens. Die absolute Abwesenheit von Bewegung ist nämlich der Tod. Sobald wir das Licht dieser Welt erblicken und sogar schon davor, wird unser gesamter Organismus durch Bewegung geformt und erhalten. Herzschlag, Atmung, die Kontraktion unserer Blutgefäße – lebensnotwendige Bewegung.

Im Laufe der kindlichen Entwicklung lernen wir unseren Körper und unsere Bewegungsmöglichkeiten immer weiter kennen. Diese „Forschungsreise“ ist ein Entwicklungsprozess, der durch eine natürliche Neugier angetrieben wird. Als Kinder wollen wir die Welt kennenlernen, wir wollen uns selbst spüren und uns in Interaktion mit der Umwelt ausprobieren. Durch spielerisches Üben sammeln wir Erfahrungen, um uns auf Herausforderungen des Lebens vorzubereiten. Mutig wollen wir unsere Fähigkeiten und Grenzen austesten, bis wir müde sind und uns von den Abenteuern des Tages erholen müssen, um am nächsten Tag gestärkt und „gewachsen“ aufzuwachen.

Viele Erwachsene blicken früher oder später demütig auf ihre Kindheit zurück. Sie sehnen sich nach dieser unbändigen Energie, nach dieser Leichtigkeit, nach dieser Freiheit. Die Kinder beim Spielen zu beobachten, weckt die Sehnsucht nach vergangenen Tagen. Dabei trägt sie eine tiefe Überzeugung, dass das Alter diese Eigenschaften völlig selbstverständlich verblassen lässt.

Hilflos, unsicher und deprimiert erfahren die meisten Menschen diverse Einschränkungen in Folge des Alters. „So ist das halt wenn man in die Jahre kommt!“. Einschränkungen und Zivilisationskrankheiten sind die traurige Normalität. Mit der Zeit kommt eben der Verschleiß. Schon im jungen Alter müssen wir dieses Schicksal für unsere Zukunft einplanen. „Ich brauche einen Job, den ich auch noch im Alter machen kann!“…

Ich bin jedoch anderer Überzeugung. Wir sind keine Maschine die früher oder später dem Verschleiß erliegt. Wir müssen uns nicht zwangsläufig in die Abhängigkeit von Einschränkungen und Krankheit begeben und dies ist auch keine Frage des Schicksals. Natürlich wird das Leben immer Herausforderungen für uns bereithalten, die Frage ist jedoch, mit welcher Kompetenz ich diesen begegne.

Das Bewusstsein, dass wir die Entwicklung unseres Körpers, unserer Gesundheit und Bewegungsfreiheit selbst in der Hand haben, ist ein wichtiger Meilenstein. Dies ist jedoch zunächst eine Frage unser inneren Überzeugung. Woran glaube ich? Wenn ich fest daran glaube, dass ich im Alter ein neues Knie und diverse Tabletten brauche, ja, dann wird das wohl auch so kommen. Suche ich jedoch nach einem anderen Weg, dann wird auch eine andere Zukunft plötzlich zur Option.

Um den „alternativen“ Weg zu gehen, der zu mehr Freiheit, Leichtigkeit und Selbstbewusstsein führt, braucht es, neben der inneren Überzeugung, jedoch Wissen, Gewohnheiten und Fähigkeiten. Diese Kombination an Eigenschaften vereine ich unter dem Begriff der Bewegungskompetenz.

Vereinfacht gesagt, ist es das Verständnis über die Funktionsweise unseres Körpers, in Verbindung mit einer bewussten, natürlichen und gesunden „Benutzung“. Schließlich trägt uns unser Körper durch unser gesamtes Leben. Wenn wir dieses Wunderwerk der Natur besser verstehen, nutzen und pflegen, dann wird auch der Weg leichter und freudvoller empfunden werden. So ist Bewegungskompetenz in meinen Augen ein unverzichtbarer Bestandteil von Lebenskompetenz. Wenn dich dein eigenen Körper ständig in deiner Lebensführung einschränkt oder „im Stich lässt“, dann wirst du weniger in der Lage sein, deine persönlichen Aufgaben und Visionen zu verfolgen, geschweige denn anderen Menschen zu helfen. Als Erwachsene sind wir Vorbilder für die nachfolgenden Generationen. Wir tragen Verantwortung und sollten uns daher fragen, welche Überzeugungen wir diesen Generationen übermitteln wollen.

Wenn du mit deinem Körper auf „Kriegsfuß“ stehst, dann wird Bewegung und Sport immer eine Quälerei sein. Geprägt durch Anstrengung, Schmerz oder negative Emotionen. Selbst der eisernste Wille wird es nicht besser machen. Doch selbst wenn du eine Sportart liebst, kannst du dich plötzlich in einem Kreislauf aus Verletzungen und Beschwerden wiederfinden. „Sport“ ist nicht immer gesund. Eine gute Bewegungskompetenz ist in beiden Fällen der Kompass zu mehr Bewusstsein, Bewegungsfreude und Gesundheit.

Maximilian Chlum – 05.08.2021

Mein Weg

In diesem Text möchte ich es vermeiden, dich mit Lobhymnen auf sportliche Erfolge oder teure Weiterbildungen zu langweilen. Ich habe weder 40kg abgenommen, noch habe ich den Everest in Unterhose erklommen. Ich begeistere mich zwar für Abenteuer, suche aber dennoch stets nach der notwendigen Balance im Leben. Dieser Text soll zeigen, wie ich meinen Weg gehe und welche Werte und Erfahrung ihn prägen.

Das Interesse an Bewegung entstand bei mir aus einer inneren Neugier nach Herausforderung. Was kann ich tun – mit diesem Körper? Verschiedene Ereignisse, Interessen und Personen führten mich zum Sportstudium. Langsam lernte ich die zahlreichen Grundlagen und Zusammenhänge menschlicher Gesundheit und Leistungsfähigkeit kennen. Der Gedanke zu helfen und Menschen im Bewegung zu bringen gefiel mir sehr gut. Neben dem Studium arbeitete ich im Bereich Rehasport. Inhalte aus Folien und Vorlesungen erfuhr ich nun am „lebenden Objekt“. Ich erkannte, was die sogenannten Zivilisationskrankheiten aus dem Wunderwerk Mensch machten. Rückenschmerz, Gelenkersatz, Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Verspannungen, Herzkreislauf-Erkrankungen…

Dies führte dazu, dass ich mehr verstehen wollte. Warum werden so viele Menschen trotz dieses modernen Gesundheitssystems, krank. Ich beschäftigte mich intensiv mit der Frage: Wofür sind wir eigentlich gemacht? Die sogenannte Evolutionsmedizin oder -wissenschaft, orientiert sich am Vermächtnis unserer Vorfahren, der Jäger und Sammler.

Dabei stieg ich immer weiter in die grundlegenden Prinzipien unseres Bewegungsrepertoires ein. Ido Portal beschreibt es als den „Paradigmenwechsel“ von starren Systemen und künstlichen Regeln, zu mehr Freiheit, Intuition und Exploration. Ich erkannte, dass viele moderne Verhaltensweisen zwar völlig „normal“ sind – aber keineswegs „natürlich“. Die meisten Menschen machen etwas, „weil man es eben so macht“. Auch ein Großteil unseres Gesundheitssystems basiert noch immer auf veralteten Überzeugungen und einem mechanistischen Bild des Menschen – der Mensch als organische Maschine, die verschleißt, kaputt geht und repariert werden muss. Je tiefer man jedoch in die Funktionsweise des menschlichen Körpers eintaucht, um so komplexer und vernetzter stellt sich das System dar. Autoren wie Daniel Lieberman, John Ratey, Thomas Myers, Todd Hargrove, Katy Bowman, Sascha Fast und viele weitere, verhalfen mir zu einem ganzheitlicheren Verständnis. Die Stellschrauben menschlicher Gesundheit sind vielfältig, dass Bewusstsein dafür ist der erste Schritt zu einer positiven Weiterentwicklung. Deshalb befasse ich mich nicht nur mit „Sport“, sondern auch mit Themen wie: Schlaf, Stress, Ernährung, Atmung, Schmerz, Naturverbindung, Gewohnheiten im Alltag usw.

Durch eine Ausbildung beim vielseitigen Team des OS Instituts erlangte ich die nötigen „Werkzeuge“, um auch Menschen mit Verletzungen wieder systematisch und sicher zu Bewegung und Sport zurückzuführen. Wie vielseitig und wertvoll Bewegung für eine umfassende „Lebenspraxis“ ist, lernte und lerne ich auch gegenwärtig bei Joseph Bartz aus Berlin. Da ich es liebe draußen in der Natur zu sein und auch in den Bereich der Naturverbindung tiefer einsteigen will, habe ich vor ein paar Monaten eine Wildnispädagogik- Ausbildung  bei Wilfried Mengs begonnen, welche mir besonders in Pandemie Zeiten viel Kraft und Inspiration gegeben hat.

Ich habe gelernt, wie wertvoll es ist ein Anfänger zu sein und immer weiter zu lernen. Ich versuche mein Wissen in der Rolle des Lehrers weiterzugeben, sehe mich aber gleichzeitig als ewiger Schüler. – Je mehr ich weiß, desto mehr verstehe ich, dass ich nichts weiß.

Um meine eigene Art und Weise als Mensch und Trainer zu beschreiben und für mich selbst zu verstehen, habe ich einige Menschen, die mich sehr gut kennen, gebeten, ein paar Worte über mich festzuhalten. Die nachfolgenden Punkte beschreiben meine Stärken und individuellen Eigenschaften aus externer Sicht:

Verständnisvolle Kommunikation mit anderen Menschen.

Ich bin ich ein gelassener und kaum verurteilender Gesprächspartner, der gut zuhört und den Anspruch hat auch komplexe Probleme zu verstehen. In der heutigen „Small-Talk“ Welt weiß ich ein tiefgründiges Gespräch stets zu schätzen.

Der inneren Überzeugung folgend.

Ich orientiere mein Handeln, nach meinen Wertevorstellungen und scheue mich nicht die „Norm“ zu hinterfragen. Durch ehrlich praktizierte Überzeugung möchte ich andere inspirieren und zum Nachdenken anregen. Ich gehe meinen eigenen Weg.

Wissensdurst und die Begeisterung des Weitergebens.

Ich habe einen großen Wissensdrang, um mein Verständnis für ein „gutes, gesundes Leben“ zu vertiefen und freue mich jedes Mal, dieses Wissen an interessierte Menschen weiterzugeben.

Innere Ruhe und Geduld.

Ich verliere nicht so schnell die Kontrolle, getreu dem Motto: „Warum soll ich mich den aufregen? – Das hieße ja, ich müsste mich auch wieder abregen und das ist mir viel zu anstrengend.“

Bewusste, realistische und zielstrebige Herangehensweise an Aufgaben.

Ich mache selten einfach „irgendwas“ – für mich müssen die Dinge „Sinn machen“. Deshalb versuche ich Herausforderungen möglichst gut zu analysieren, um effektive Lösungen zu finden und diese sinnvoll zu organisieren. Bei längeren Projekten nehme ich mir regelmäßig die Zeit zum Reflektieren und zu überprüfen, ob ich noch auf dem richtigen Kurs bin.

„Du gibst nie auf.“

Projekte und Herausforderungen bedürfen einer gewissen Beständigkeit, ich habe gelernt, dass Höhen und Tiefen dazugehören und das Kontinuität, Geduld und Fokus sicher zum Ziel führen.

Ansteckende gute Laune.

Ich versuche die Dinge nicht zu ernst zu nehmen. Bei unseren vielen Möglichkeiten und Sicherheiten, ist es einfach nicht sinnvoll, sich ständig über Kleinigkeiten aufzuregen. Humor und Dankbarkeit sind Balsam gegen die weitverbreitete „Mecker-Mentalität“.

Abenteurer Geist.

Ich folge gern meinen Interessen und meiner Intuition, dabei brauche ich nicht viel zu meinem Glück. Ich liebe es in der Natur zu sein und die Kraft der Elemente und meinen eigenen Körper zu spüren. Die eigenen Grenzen erkunden, Barrieren zu überwinden und die „einfachen Dinge“ zu genießen, trägt maßgeblich zu meiner Lebensfreude bei. Dies mit anderen zu teilen – empfinde ich als großes Glück.

Wer sich für meine Person und meine „Geschichte“ interessierte, der sollte durch diesen Text einen recht breiten Überblick erhalten haben.

Maximilian Chlum – 10.08.2021

Was wir mit unserer Zeit machen...

Immer wenn ich mit dem Rad nach Hause fahre, komme ich an einer kleinen Franchise Fitness-Kette vorbei, die mit dem Slogan: „Weil 20min Training pro Woche reichen“ Werbung macht.

Jedes Mal lese ich diese lockende Botschaft, wiederhole in meinem Kopf die Worte und muss dabei den Kopf schütteln. Für mich ist es ein trauriges Symbol für die krankhaft wachsende Mentalität der Selbstentfernung und die Art und Weise wie wir mit unserer Zeit umgehen.

Viele Menschen legen ihren Fokus hauptsächlich auf externe Ziele, Verpflichtungen und Unterhaltung. Die Elemente, die jedoch Teil unserer ursprünglichen Natur sind, die uns nähren und beleben, werden zu Stichpunkten auf zerknüllten To-Do-Listen in unseren Jackentaschen.

Bewegung, Ernährung, Schlaf, Familie, Beruf, Gesundheit… oftmals geht es einfach nur darum abzuhaken, zu optimieren, zu erleichtern – schließlich müssen wir „alles unter einen Hut bekommen“.  Diffuse Idealbilder aus sozialen Medien weißen den Weg – digitales Fastfood – schneller, billiger, geiler. Glück, Genuss und Zufriedenheit in Form kurzweiliger Konsumprodukte.

Unser Körper soll einfach funktionieren. Sich extra darum zu kümmern? Eine nervige Verpflichtung, wie den Müll runterbringen oder Gemüse zu schneiden. Doch für diese „Probleme“ gibt es glücklicher Weise Systeme und Lösungen: 3min Arztbesuch, 2min Apotheke, 20min Physiotherapie und 20min Fitness – dann bleiben zum Glück noch 15min für die TK-Pizza. Schließlich haben wir unser Gewissen beruhigt – unsere Pflicht getan…

Natürlich ist es praktisch Zeit zu sparen und es ist auch sinnvoll Dinge effizient anzugehen. Doch ich denke, dass die meisten an den falschen Stellen sparen wollen. Ein vernachlässigter Körper wird nicht durch 6x20min Massage und Krankengymnastik geheilt werden. 20min Training pro Woche mit einer Stromweste und ein täglicher Eiweißshake, machen uns nicht zu Arni. Sie halten uns nicht mal gesund. Es sind trügerische Verlockungen, die besonders in einer Hinsicht gut funktionieren: MARKETING. Bequem, schnell und billig – Fast Food – Fast Fitness – Fast Health.

Doch wohin fließt die gesparte Zeit. Ist sie dort wirklich sinnvoller genutzt? Sind wir wirklich so smart, wenn wir unsere Körper und unsere tiefen inneren Bedürfnisse so vernachlässigen? Am Ende bestimmen unser Überzeugungen was wir tun. Dabei besteht die große Herausforderung in der modernen Welt, sich nicht ständig dem „schnellen Genuss“ hinzugeben, sondern genau diese Versuchungen zu erkennen und ihnen zu widerstehen. Sich vielseitig und regelmäßig zu bewegen, sich bewusst zu nähren, Neues zu lernen, Gemeinschaft zu pflegen, die Natur zu erkunden, zu ruhen und zu reflektieren… alles sind Elemente einer nachhaltigen Wertschätzung des Eigenen Selbst und einer gesunden Gesellschaft.

Maximilian Chlum – 07.12.2021

Ein Jahr Wildnispädagogik - Was habe ich gelernt?

Es ist Samstagnachmittag, an unserem letzten Wochenende des einjährigen Wildnispädagogik Kurses (WP 1). Freitagnachmittag waren alle im Regen am Trappercamp angekommen. „Alle“ waren an diesem Wochenende: Silke, Dani, Christian, Steffen, Ich und natürlich der liebe Wilfried. Wir machten einen kleinen Spaziergang, um unser Wissen über die nun zügig wachsende Flora und die immer lebendiger werdende Fauna zu testen. Für das Abendessen sammelten wir einen frischen Wildkräutersalat, bestehend aus Knoblauchrauke, Giersch, Löwenzahn, Spitzwegerich, Brennnessel, Vogelmiere und jungen Brombeerblättern. Mit einem selbstgemachten Honig-Senf-Dressing von Wilfried, schmeckte er einfach herrlich. Für mich zeigt sich hier eine erste Erkenntnis, Einsicht oder Überzeugung, die ich durch das „WP-Jahr“ erhalten habe:

  • Das Leben, die Vielfalt, die Schönheit, ja auch die Wildnis sind direkt vor meinen Augen.

Viele Dinge, die wir suchen oder in Leben anstreben, sind oftmals schon „in uns“ oder unmittelbar „vor uns“. Wir können sie nur nicht sehen. Wie bei einer optischen Täuschung kann unsere Wahrnehmung unterschiedlich fokussiert sein. Die gelernten und regelmäßig praktizierten Kernroutinen, wie Danksagung, Sitzplatz und Weitwinkelblick, ermöglichten es mir eine viel umfassendere, sensiblere und auch differenziertere Wahrnehmung zu entwickeln. Dank der Sitzplatz-Praxis konnte ich beispielsweise den Kreislauf der Jahreszeiten viel detaillierter und aufmerksamer verfolgen. Veränderungen, die ich sonst vielleicht unterbewusst und nur beiläufig registrierte, wurden wesentlich klarer und auch bedeutend greifbarer.

Ab dem ersten Modul im Mai, fügten sich die zu Beginn noch größtenteils unbekannten Teilnehmer zu einer „verbundenen Gemeinschaft“ zusammen. Wir alle teilten schon zum Anfang unseres gemeinsamen Weges, ähnliche Vorstellungen, Wünsche und Werte. Das innere Feuer brachte uns regelmäßig zusammen und ließ uns auch außerhalb der Wildnisschule in Kontakt bleiben.

Gegenseitiges Verständnis, Unterstützung, Geschichten, gemeinsames Lernen und Wachsen, Freude, Genuss, Verbundenheit prägten unsere Treffen. Ich denke, dass wir an jedem WP-Freitag das Gefühl „angekommen zu sein“ miteinander teilten. Das lag nicht nur am schönen Umfeld und den bevorstehenden Abenteuern und Themen, sondern auch an unserer großartigen Gemeinschaft.

  • Wie Nahrung, Bewegung & Naturerleben, so ist auch Gemeinschaft eine tragende Säule des guten Lebens. Wir Menschen sind soziale Wesen. Diese Verbundenheit zu erkennen und zu spüren, lässt Sinn und Kraft entstehen.

Heute zeigte sich diese Art der Verbundenheit und Unterstützung, bei unserer Bow Drill Praxis (Feuerbohren). Das was viele von uns während etlicher Übungsstunden, in Eigenregie, nicht geschafft haten… funktionierte durch die „Kraft der Gemeinschaft“ wie von Zauberhand. So gelang es, trotz Momenten des Zweifelns und der Wut, allen, ihr Bow Drill Feuer zu entzünden.

Das Bow Drill Handwerk begleitete uns ebenfalls über das gesamte WP-Jahr. Für viele Menschen aus meinem Umfeld, war diese Übungspraxis nicht wirklich verständlich. „Damit bekommt man doch kein Feuer an, wenn man mal im Wald verschollen ist.“ Für mich persönlich lag der Kern der Bow Drill Praxis, nie in einem „Survival Werkzeug“. Das Üben mit dem Bow Drill, ist eine Sache die meiner Meinung nach, vielen modernen Menschen nützen würde. Diese auf den ersten Blick sinnlose Sache, kann auf längere Sicht noch viel mehr bieten als „nur“ ein wärmendes Feuer.

  • Die Arbeit mit dem Bow Drill ist in meinen Augen eine nützliche Lebenspraxis. Denn sie schult Fähigkeiten wie Geduld, Kontinuität, Aufmerksamkeit und Fokus. Besonders zu Beginn wird man in der Regel mit Rückschlägen, Misserfolgen und Frustration konfrontiert, die man überwinden muss.

In der modernen Welt haben wir die Bedingungen geschaffen, dass wir viele begehrenswerte Dinge sofort bekommen können. Wenn wir ein Feuer wollen, dann benutzen wir ein Streichholz oder Feuerzeug. Wenn wir Musik hören wollen, drücken wir auf unser Smartphone. Wenn wir auf einen hohen Gipfel wollen, können wir die Seilbahn benutzen. Diese Werkzeuge und Hilfsmittel sind nützlich, doch sie nehmen uns auch das Geschenk einer geduldigen, kontinuierlichen Übungspraxis. Das Arbeiten mit dem Bow Drill schafft etwas Distanz zur Mentalität des „schnellen Genusses“ und der mangelnden Geduld und Genügsamkeit des modernen Lebens.

  • So zeigte mir das WP-Jahr auch wieder einmal mehr und klarer, wie viel Wert in der Einfachheit steckt. Das übertriebener, unbändiger Konsum und Gier einem guten Leben schaden.

Viele gesellschaftliche Mythen und Idealbilder sind wahrscheinlich aus wirtschaftlichen oder egozentrischen Motiven entstanden und haben sich wie ein Tumor im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Für mich bedeuten die Lehren der Wildnispädagogik auch einen Weg, um mit diesen individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen umzugehen.

  • Ich habe gelernt wieder mehr auf meine Intuition zu vertrauen. Dinge zu erkennen mit denen ich in Resonanz gehe. Die Kernroutinen waren dabei ein gutes Hilfsmittel, auch die feinen Schwingungen, in einer Welt voller lauter und ablenkender Reize wahrzunehmen.

Das WP-Jahr machte auf diese Weise, viele der oftmals abgedroschenen Sprichwörter wieder greifbar und hilfreich.

„Der Weg ist das Ziel.“         –       „Genieße den Moment“            –          „Das Ganze ist größer als die Summer seiner Teile.“

Ich bin sehr dankbar und froh, dass ich mich für diesen Weg entschieden habe und meiner Intuition gefolgt bin. Die Routinen der Dankbarkeit und Achtsamkeit sind etwas, dass ich weiter ausbauen und entwickeln bzw. pflegen möchte. Denn ich denke, dass Dankbarkeit sowohl Wahrnehmung als auch Zufriedenheit lebendig erhält.

Abschließend möchte ich feststellen, dass das WP-Jahr ein wichtiger Leuchtturm und Erfahrungsschatz auf meinem bisherigen Weg war und die kommenden Abschnitte und Herausforderungen positiv und nachhaltig begleiten wird.

Maximilian Chlum – 23.04.2022

Menschliche Maschinen und ihre Funktion

Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich nun intensiv und umfassend mit den Themen natürliche Bewegung und Gesundheit in der modernen Welt. Viele Konzepte und Ansichten, die ich in meinem Sportstudium vermittelt bekommen habe, betrachte ich mittlerweile aus einem wesentlich differenzierteren Blickwinkel. Ein Grund dafür ist, dass ich mich regelmäßig gefragt habe: „Was für einen Sinn macht die Arbeit, die ich leiste.“.

Der moderne Trainer, Therapeut oder Coach versteht sich in der Regel als Bote von Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Ausgeglichenheit. Motiviert durch das Bedürfnis anderen zu helfen oder zumindest ein paar Menschen die Augen zu öffnen. Entsandt durch ein Gesundheitssystem, dass offenbar vergeblich versucht, gegen zunehmende Zivilisationskrankheiten anzukämpfen. Immer klarer wird die Erkenntnis, dass sich der moderne Mensch zu sehr von seiner ursprünglichen Natur entfernt hat. Die Human- und Sozialwissenschaften haben durch ihre Forschungen belegt, dass die menschliche Gesundheit von vielen Faktoren abhängig ist, die sich gegenseitig beeinflussen und das moderne Verhaltensweisen zu besagten Zivilisationskrankheiten führen. Fast Food, Bewegungsmangel und Stress sind nur ein paar der Ursachen, die es zu bekämpfen gilt.

Die Problematik, die ich dabei sehe, liegt in der hauptsächlich praktizierten, mechanistischen Bewältigungsstrategie. Damit meine ich, dass der Mensch als eine organische Maschine betrachtet wird, die in der modernen Welt immer häufiger „Fehlfunktionen“ aufzeigt. Wie Mechaniker suchen Trainer, Therapeuten & Coaches nach Problemen und Ursachen, die sie behandeln und „reparieren“ können und wer kein Problem hat, soll noch effizienter, stärker und resilienter werden. Manager und Geschäftsführer wollen ihre Unternehmen vor kranken Arbeitskräften schützen, indem sie „in die Gesundheit der Mitarbeiter investieren“. Menschen, die ihren Alltag größtenteils in urbanen Räumen und Büros verbringen, sollen durch Naturkontakt „aufgetankt werden“. Meiner Wahrnehmung und Meinung nach, verfolgen die meisten dieser Maßnahmen den Zweck, dass Menschen in der modernen Kultur besser „funktionieren“. Auch in den Vorlesungen meines Sportstudiums wurde Bewegung, Ernährung und Natur als bessere „Medizin“ vorgestellt.

Die Begriffe „reparieren“, „investieren“, „auftanken“ und „funktionieren“ sind in meinen Augen ein Indiz für die zunehmende Mechanisierung unserer Lebensführung. In unserem Gesundheitssystem geht es um Vorbeugung, Linderung und Widerherstellung. Viele Professionen und Experten dieses Systems haben verstanden, dass Menschen „bio-psycho-sozial“ funktionieren müssen. Wir sollen Faszientraining, Yoga und „Functional Fitness“ nutzen um gesund, fit und sexy zu sein. Wir sollen „Waldbaden“, um Stress abzubauen und unser Immunsystem zu Boostern. Unternehmen fördern das „Stressmanagement“ damit Mitarbeiter lernen mit höheren Belastungen umzugehen. Diese Ansätze konzentrieren sich kurzgesagt darauf, Störungen des modernen Alltags zu beseitigen bzw. zu verhindern. Was mir dabei fehlt, ist die lebendige „Daseinsfreude“. Unsere Existenz, unser Leben, sollte nach meinem Verständnis nicht nur durch Funktionsfähigkeit und Störungsfreiheit motiviert werden. Ein gutes Leben vereint Eigenschaften und Motive wie Leidenschaft, Abenteuerlust, Begeisterung und Freude. Naturverbindung und Bewegung sollten aus einer inneren Freude, Neugier und Lust heraus passieren. Ich sage immer, dass Kinder uns dieses Ideal noch vorleben, doch auch sie leiden zunehmend unter der wachsenden Entfremdung von unserer natürlichen Resonanz mit der Welt. Sandra Knümann spricht von einer zunehmenden Spaltung zwischen Mensch und Natur. Die natürlichen Wurzeln unserer Existenz werden als Heilmittel für moderne Krankheiten betrachtet. So sagt Sie beispielsweise: „Den Aufenthalt in der Natur wie ein Medikament verabreichen zu wollen, entspricht genau der spaltenden Denkweise, die es zu überwinden gilt.“ (Knümann, 2019, S.70)

Doch diese Erkenntnis ist gar nicht so modern wie man glauben mag. Bereits Thoreau schrieb vor 160 Jahren: „Doch das Spazieren, von dem ich spreche, hat keinerlei Ähnlichkeit mit jenen sogenannten Übungen wie etwa dem Schwingen von Hanteln oder Stühlen, Übungen, die man macht wie ein Kranker, der seine Medizin zu vorgeschriebener Stunde einnimmt; es ist vielmehr die wichtigste Unternehmung, das Abenteuer des Tages“ (Thoreau, 1862/2001, S.16f.).

In diesem Zitat wird sehr deutlichen, dass es ganz entscheidend ist, welche Bedeutung wir unseren alltäglichen Aktivitäten zuschreiben. Ist der Spaziergang im Wald nur eine Methode Stress abzubauen, um besser arbeiten zu können? Ist das körperliche Training nur ein Weg, um Rückenschmerzen loszuwerden, damit man wieder ungestört den Alltag bewältigen kann?

Wenn wir uns das natürliche Verhalten von Kindern anschauen, dann sehen wir in der Regel einen starken Kontrast zu dieser zweckorientierten Denkweise. Warum spiel(t)en Kinder stundenlang in der Natur und haben dabei fast unerschöpfliche Energie? In seinem Buch „Mehr Matsch“ beleuchtet Andreas Weber unteranderem diese Frage. Kindern geht es beim Spiel nicht darum, bewusst ihren Erfahrungsschatz zu erweitern, oder ihre Knochendichte positiv zu beeinflussen. Das lebendige Erleben ist Selbstzweck und kein Mittel. Das was Kinder in der Natur und beim Spiel sehen, fühlen und denken, lässt sich für viele Erwachsene nicht mehr verstehen. Denn oftmals wird die Wahrnehmung der Erwachsenen durch Filter wie: Nützlichkeit, Effizienz, Optik und diverse Glaubenssätze beeinflusst. Das Erleben von Abenteuern schenkt uns jedoch ein Gefühl der Unabhängigkeit, Lebendigkeit & Freiheit. Anzeichen für eine zunehmende Entfremdung vom natürlichen Selbst sind, dass man sich immer „zum Sport aufraffen“ muss, dass die Natur eher wie eine Art Museum besucht und betrachtet wird, dass die eigene Aufmerksamkeit immer häufiger in digitale Welten abdriftet, dass Freude und Glück vermehrt im Konsum von Drogen, Unterhaltung und materiellen Gütern gesucht werden.

Der erste Schritt aus diesem Strudel, ist sich der eigenen Situation bewusst zu werden. Zu akzeptieren, dass man beispielsweise wirklich keine Lust auf Bewegung hat. Dann aber zu reflektieren und zu analysieren, woher diese Abneigung kommt, denn sie ist entstanden und nicht genetisch angelegt. Der zweite Schritt besteht darin, wieder auf die Reise zu gehen. Sich bewusst und umfassend mit dem eigenen Körper und den persönlichen Interessen auseinanderzusetzen. Die Schwierigkeit liegt jedoch darin, alte Überzeugungen und Denkmuster Stück für Stück loszulassen. Auf die innere Intuition, statt auf externe Idealbilder zu achten. Dies wird besonders zu Beginn auch Disziplin und Durchhaltevermögen erfordern. Immer wieder wird man hinfallen und muss sich überwinden aufzustehen. Doch wer sich fest entschließt, mit Körper und Geist auf die Reise zu gehen, der wird in der Lage sein, die verlorene Lebendigkeit, die kindliche Neugier und Abenteuerlust wiederzufinden. Man wird wieder den Drang spüren, nach draußen zu gehen und etwas zu erleben, in dieser Welt voller Möglichkeiten und Facetten. Am Ende der Reise wird man zu einem Menschen der wirklich lebt, statt nur zu funktionieren.

Zusammenfassend:

    • Bewegung kann Krankheit und Schmerz heilen, Naturkontakt fördert Gesundheit und Wohlbefinden, doch sie sollten nicht ausschließlich und permanent als Mittel zum Zweck betrachtet werden. Ein solches Bedeutungsschema verhindert echte, nachhaltige Bewegungsfreude und eine tiefe Verbundenheit zu unserer Mitwelt.
    • Um diese natürliche Freude und Begeisterung wiederentdecken zu können, sollte man sich üben, wieder öfter auf das innere Kind in einem zu hören: Was macht mir Spaß? Woran habe ich Interesse? Was gibt es zu entdecken? – Ziel ist es, nicht jede Handlung modernen Verpflichtungen und geistigen Konstrukten / Regeln unterzuordnen. Die Brille von Nützlichkeit, Effizienz und Bewertung abnehmen zu können.
    • Wer die natürliche Bewegungsfreude und Abenteuerlust in sich wiedererweckt, der trainiert nicht für einen gesunden Rücken oder den straffen Bauch. Das Erleben, Erkunden und Genießen der eigenen Möglichkeiten und der Welt, ist ein natürlicher Weg Freiheit und Verbundenheit gleichermaßen zu erleben. Nach diesem Gefühl der Lebendigkeit suchen Kinder täglich und wir sollten für sie als gutes Vorbild vorangehen.

„Vielleicht ist die Wirklichkeit ja doch das Gegenteil von dem, für das wir sie über Jahrhunderte gehalten haben. Nicht die ernste Welt der Mühe und Beherrschung ist die eigentliche Realität, sondern sie wird dazu erst gemeinsam mit der spielerischen Fantasie der Ideen und Möglichkeiten. Nicht Vernunft und Effizienz machen den Kern der Dinge aus, sondern ebenso Unvernunft und Überschuss.“ (Weber, 2011, S.169)

Maximilian Chlum – 24.06.2022

Über Lebenskünste und Abenteurer

Die Sonne spiegelt sich in der unendlichen Weite des Ozeans. Ein Sturm zieht auf. In einem kleinen Boot sitzt ein Seefahrer. Er spürt die sinkende Temperatur, die an Kraft gewinnenden Windböen, die bedrohliche Energie in der Luft. Unerwartet und plötzlich, kommt der Wetterumschwung. Dunkle Wolken verdrängen das beruhigende Blau des Himmels. Das Herz des Seefahrers schlägt schneller, doch sein Atem bleibt ruhig. Das Ruder fest in der Hand und mit Jahren voller Erfahrungen in den Knochen, empfängt er den unausweichlichen Sturm. Die Wellen werden größer und heben das kleine Boot immer weiter in die Höhe. Salziges Wasser spritzt durch die Luft und in das Gesicht unseres Seefahrers. Kraftvoll, fokussiert und doch ruhig, lenkt er sein Boot durch die tosende See. Kein Zeichen von Furcht ist in seinen Augen zu erkennen. Keine Flüche oder Ärger kommen über seine Lippen, seine Muskeln arbeiten schwer aber bewusst. Er weiß, dass es ein wilder Ritt wird. Im Szenario des Chaos bleibt sein Geist dennoch ruhig. Er bewahrt das Licht, in der Dunkelheit des Sturms. Nur wenige Wort kreisen in seinem Kopf.

„Ich bin hier – das ist mein Weg!“

Ich mag das Bild des Seefahrers oder Abenteurers, wenn es um die Frage geht, wie wir mit Hürden, Rückschlägen und Herausforderungen umgehen. Doch was verbinden wir eigentlich mit solchen Abenteuergeschichten? Freiheit, Lebendigkeit, Gefahren, Entbehrung, Sehnsucht, Demut? Die Ursprünglichkeit des Seins findet sich in solchen Erzählungen. Immer wieder zeigt sich die Suche nach Balance, im ewigen Wechselspiel aus Sicherheit und Chaos. Abenteuergeschichten und Erfahrungsberichte üben auf viele Menschen eine große Anziehungskraft aus. Das Szenario ist oftmals ähnlich. Der kleine Mensch stellt sich den Herausforderungen der großen und wilden Welt. Darüber zu lesen, zu hören oder bildgewaltige Dokumentationen zu betrachten, ist faszinierend und bewegend. Doch wer immer nur in der Rolle des Betrachters am Rand des Beckens steht, wird nie das Wasser spüren, geschweige denn Schwimmen lernen. Ich habe das Gefühl, dass die Lebenskünste der Abenteurer, wie z.B. die Fähigkeit auch im Chaos Ruhe zu bewahren, dem modernen Menschen immer mehr abhandenkommen. Was sind die Gründe?

Ich sehe zwei kritische Faktoren, die die Entwicklung vieler Menschen negativ beeinflussen bzw. limitieren. Dies ist zum einen, eine in jungen Jahren heranreifende Angst zu Versagen bzw. etwas „falsch“ zu machen.  Erzeugt durch fiktive Idealbilder von Perfektion und einen Mangel an Erfolgserlebnissen, Interesse oder sozialer Bestätigung für die persönliche Entwicklung. In der modernen Erziehungs- und Ordnungskultur werden Kinder und Jugendliche nicht selten an festgelegten Bewertungsmaßstäben verglichen und beurteilt. Manche haben Glück und passen aus ihrer Natur in diese Maßstäbe, andere eben nicht. Der Neurobiologe Gerald Hüther schreibt, dass die Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen, in den wenigsten Fällen auf auswendig gelerntem Wissen, sondern hauptsächlich auf gemachten Erfahrungen basieren. Wer immer wieder die Erfahrung macht zu scheitern oder in seiner Entfaltung eingeschränkt zu werden, der wird schnell die Lust verlieren Neues auszuprobieren bzw. sich anspruchsvollen Herausforderungen zu stellen. Für eine gute natürliche Entwicklung muss Kindern so viel Lebendigkeit wie möglich zugänglich gemacht werden. Der kindliche „Aktionsradius“ wird jedoch immer kleiner. Das Stromern ins Unbekannte, weg von zu Hause, wird immer weniger. Der Autor Andreas Weber schreibt: „Unser Drang, auch das Kinderleben den Kriterien der Erwachsenen zu unterwerfen, hat die kindlichen Räume rationalisiert und vielfach zum Schweigen gebracht.“ Kindern fehlt genau das Element, dass Erwachsene tunlichst verhindern wollen: Gefahr und Abenteuer.

Zum anderen sind es Bequemlichkeits- und Konsumwahn die uns „schnelles“ Glück versprechen. Warum Abenteuer erleben, wenn ich Sie mir bei Netflix anschauen kann? Warum etwas eigenhändig herstellen, wenn ich es bei Amazon oder Ikea kaufen kann? Ich denke, dass beispielsweise Computerspiele eine solch große Anziehung auf junge Menschen ausüben, da sie dort in fiktiven Welten ihrer Neugier und Abenteuerlust nachgehen können. Ohne Bewertung – ohne Anstrengung – ohne Gefahr. Bequemlichkeitswahn bedeutet auch, die Angewohnheit zu haben, Herausforderungen und Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Zu meckern und sich aufzuregen, statt Lösungen zu suchen. Unser hoher Lebensstandard sorgt dafür, dass wir viele elementare Bedürfnisse des Lebens als absolute Selbstverständlichkeit betrachten und immer höhere Erwartungen an unser Leben stellen. Wir wachsen mit der Erfahrung auf, dass die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse keiner Anstrengung bedarf. Dementsprechend gering ist das Bewusstsein für die Fülle, in der wir eigentlich leben und die Wertschätzung dafür. Alles ist sofort und permanent verfügbar. Dabei vergessen wir, dass Anstrengung, Geduld und Rückschläge auch zum Leben gehören. Die Fähigkeit Hindernisse zu akzeptieren und trotzdem weiterzumachen, durchzuhalten und nicht sofort aufzugeben, ist eine weitere Lebenskunst. Dabei ist Dankbarkeit etwas, dass diese Lebenskunst maßgeblich unterstützt. Die übermäßige Bequemlichkeit und Angst zu scheitern, hält viele Menschen in ihrer Passivität gefangen. Man strebt nach Reichtum, um sich Sicherheit und Glück zu erkaufen. Doch Sicherheit beschränkt Freiheit.

„You can’t always get what you want.” – Rolling Stones

Eine Entwicklung unter solchen Bedingungen lässt kaum „Lebenskünste“ entstehen. Viel mehr werden Abhängigkeiten, Unsicherheit, Gleichgültigkeit, Wut und Lethargie kultiviert. Die Fähigkeit, auch im Angesichts des Sturms, Ruhe zu bewahren, ist eine immer seltener werdende. Die meisten Menschen versuchen daher, so gut es geht, den Stürmen des Lebens auszuweichen. Doch die „Vermeidungstaktik“ macht sie umso anfälliger für Stress, Ärger und Verzweiflung. Viele werden deshalb schon durch die kleinen Hürden des Alltags aus der Ruhe gebracht. Anstrengung ist Arbeit und nicht Leidenschaft. Angst und Bequemlichkeit ziehen die meisten in einen Strudel aus Stress, Unsicherheit und Unzufriedenheit. Gefangen in einem Leben, dass zwar sicher und bequem ist, aber dennoch als zäh, bedeutungsarm und eingeschränkt empfunden wird. So wird es verständlich, dass Abenteuergeschichten eine große, unerfüllte Sehnsucht wecken. Die einzige Chance diesen lähmenden Strudel zu entkommen, ist eine „innere Ruhe“ und „Bereitschaft“ aufzubauen, sich den kleinen und großen Stürmen des Lebens hinzugeben. Denn Erfüllung finden nur diejenigen, die bereit sind, ihren eigenen Weg zu gehen.  Wer Freiheit, Lebendigkeit und Ursprünglichkeit spüren möchte, muss den Mut aufbringen, seine Angst und Bequemlichkeit zu überwinden und es wagen in See zu stechen. Nur dort wird man lernen mit Stürmen zu leben und seinen eigenen Weg zu finden.

„I always need my adventures to explore this part of me again, where I have to dig really deep and reset some buttons and that is going to be my drive in the future too. They allow you to get to know yourself in a way that in regular life will take many years.” – Karel Sabbe

Die Lebenskünste der Abenteurer müssen jedoch nicht zwangsläufig auf waghalsigen Expeditionen erworben werden. Um sich weiterzuentwickeln und zu wachsen, ist es zunächst notwendig das Bewusstsein für das eigene Handeln zu schärfen. Sich selbst zu beobachten und zu reflektieren. Wo sind die Grenzen meiner Komfortzone? Wann und wieso weiche ich bestimmten Herausforderungen aus? Der sichere Alltag bietet die Möglichkeit, gefahrlos viele kleine Abenteuer zu erleben und regelmäßig die Komfortzone zu verlassen, um Weiterentwicklung und mehr Balance zu erfahren. Dies kann eine kalte Dusche am Morgen sein, das Ansprechen eines unangenehmen Themas, der Verzicht auf bestimmte Genussmittel, das Treffen einer Entscheidung oder ein Lauf im strömenden Regen. Es ist die Kunst und die Neugier mit dem inneren Feuer zu spielen. Sich selbst und die Welt zu erfahren und entdecken zu wollen.

Ich frage mich, wie wir dieses innere Feuer erhalten und füttern können?

Maximilian Chlum – 06.09.2022